Was Ihr Wollt

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17.03.2013 |  Dagmar Ullmann-Bautz

Wie ein ausbrechender Vulkan! Die Premiere von Shakespeares „Was ihr wollt“ begeisterte am Vorarlberger Landestheater

Rauch, Staub, sich öffnende Krater, Menschen, die ausgespuckt werden wie feurige Lava – all das durfte das Premierenpublikum gestern staunend und amüsiert erleben. Shakespeares Komödie „Was ihr wollt“ ist sicherlich eines seiner leichtfüßigsten, zugleich derben, vor Emotionen überschäumenden Stücke. All das hat Regisseur Tobias Materna wunderbar zu einem runden, in sich stimmigen Abend verpackt.

Viola und ihr Zwillingsbruder werden nach einem Schiffbruch, jedoch getrennt, an die Küste Illyriens gespült. Viola tritt als Mann – Cesario – verkleidet in die Dienste des Herzogs Orsino, der unsterblich in Gräfin Olivia verliebt ist. Doch Olivia trauert um ihren verstorbenen Bruder und hat sieben Jahre Enthaltsamkeit geschworen. Viola wird von Osario beauftragt, Olivia seine Liebesbotschaften zu überbringen. Olivia verliebt sich dabei Hals über Kopf in Cesario, während diese(r) von Osario entflammt ist.

Auch Ritter Andrew Leichenwang hat es auf Olivia abgesehen und wird dabei von Olivias Onkel Toby Rülps unterstützt. Gemeinsam mit dem Narren Feste und der Zofe Maria feiern die vier jede Nacht ausgelassene und feucht-fröhliche Feste, die dem Haushofmeister Malvolio ein fürchterlicher Dorn im Auge sind. Um sich bei Malvolio zu rächen, beschließen die vier, ihm einen Streich zu spielen. Mit einem fingierten Brief machen sie ihn glauben, dass Olivia ein Auge auf ihn geworfen hat. Malvolio fällt darauf herein und macht sich furchtbar lächerlich.

Einige Turbulenzen


Die Ereignisse überschlagen sich, als Sebastian – Violas totgeglaubter Zwillingsbruder –
auftaucht und im Hause Olivias für Cesario gehalten wird. Nach einigen Turbulenzen finden sich die Paare – alleine bleibt nur Malvolio, der Vergeltung schwört.

Einmalige, surreale Bühne


Der Abend präsentiert ein höchst lebendiges, äußerst engagiertes Schauspielerensemble, das von Regisseur Materna wunderbar geführt wurde. Jede einzelne Figur zeigt sich haargenau ausgearbeitet, auf seine Stärken und Schwächen geprüft, und in jeder Situation passend platziert in einem surrealen Bühnenbild von Martina Stoian. Eine faszinierende Idee – dieser riesige Haufen, der sich auf der Bühne türmt – gleich einer Geröllhalde. Das Spiel findet auf, um, und in diesem Berg statt. Die Schauspieler werden ausgespien, kraxeln rauf und purzeln runter, sie wälzen sich, sie wühlen darin. Jeder Zentimeter wird bespielt. Es ist unglaublich, was das gesamte Ensemble auf dieser Bühne an Körperbeherrschung und Akrobatik beweist. Arndt Rössler beleuchtet den Berg, zaubert wunderbare Stimmungen in allen Schattierungen – passend zur emotionalen Achterbahnfahrt der Protagonisten.

Herausragende schauspielerische Leistungen


Emanuel Fellmer überzeugt als Herzog Orsino mit seiner Liebe, die mehr zu einer fixen Idee geworden ist, als dass sie sich aus dem Herzen nährt. Viola/Cesario wird wunderbar gespielt von Neda Rahmanian, mit fühlbarer Leidenschaft und einer herrlichen Portion Humor. Das Komödianten-Quartett überschlägt sich fast vor spielerischem Einsatz – Daniel F. Kamen gibt einen großartigen Andrew Leichenwang –, spielt dessen Dummheit zum Gaudium des Publikums grenzenlos aus. Die Figur des saufenden und rülpsenden Sir Toby findet seinen Meister im Schauspieler Maximillian Laprell, der die Derbheit Sir Tobys genauestens austariert. Ein ausgezeichnetes Spiel zeigt auch der junge Michael von Burg als Feste, der Narr – immer präsent mit genau differenzierter Mimik und Körpersprache.

Adelheid Bräu bringt eine Energie auf die Bühne, die staunen lässt – als Zofe Maria zieht sie alle Strippen – sie brüllt, rockt, ist hinterlistig, klug und bezaubernd. Genarrt von den Vieren zeigt Andreas Weißert als Haushofmeister Malvolio, was es bedeutet, sich hoffnungslos zum Narren zu machen. Unschlagbar Schauspielerin ChrisTine Urspruch in der Figur der Olivia, die sie mit größter Eleganz und verwundbarster Empfindsamkeit ausstattet. Die grandiose Ensembleleistung komplettieren Andreas Jähnert als Sebastian, Lukas Kientzler als Antonio, Alexander Julian Meile als Kapitän und Willi Kiesenhofer als Offizier.

Das Publikum applaudierte begeistert und bedankte sich damit für eine glanzvolle Regie, das eindrückliche Bühnenbild und großartige schauspielerische Leistungen!

 

Alle 16 Jahre im Sommer

Unter Spaßmacherei begraben

Premiere „Alle sechzehn Jahre im Sommer“ in Wiesbaden als bloße Komödie missverstanden

Von unserem Autor

Andreas Pecht

M Wiesbaden. Lebhafter Gute-Laune-Klatschmarsch beendet am Staatstheater Wiesbaden die Premiere von „Alle sechzehn Jahre im Sommer“. Man hat John von Düffels neues Stück als saftige 140 Minuten boulevardesker Kurzweil erlebt. Wer indes eine Woche zuvor die von Markus Dietze eingerichtete Uraufführung in Koblenz gesehen hatte, den macht diese Folgeinszenierung von Tobias Materna schier fassungslos. Da haben zwei Regisseure dieselbe Stückvorlage gelesen, sie aber völlig verschieden verstanden. Dass Wiesbaden den Text radikal gekürzt hat, die reine Spielzeit mithin 50 Minuten kürzer ausfällt, kommt dem Sitzfleisch mehr zugute als dem Stück. Doch derartige Eingriffe sind legitim und allgemein Usus; selbst große Klassiker müssen das heute aushalten. Wichtiger bleibt, dass Tobias Materna der Düffel-Trilogie vor allem im zweiten und dritten Teil einen Grundtenor verpasst, der das gerade Gegenteil der Koblenzer Sichtweise ist.

Beiderorts wird der Anfang über Verwicklungen in einer linksalternativen Westberliner Wohngemeinschaft der 70er als plakativ persiflierende Boulevardkomödie gegeben. Während diese aber in Koblenz hernach zur bitteren bürgerlichen Gesellschaftstragödie kippt, bleibt Wiesbaden den gesamten Abend bei der komischen Spielart. Das erspart dem Ensemble Umschalten vom dick aufgetragenen Lachtypen- zum differenzierenden Charakterspiel. Das Stück allerdings kommt so gehörig ins Stolpern. Denn zu ernst sind bei Düffel viele Aspekte der Wandlung von der jugendlichen Kommune 1974 zum wohlstandsbürgerlichen Dasein 1990 bis zu dessen Verfall 2006.

Materna greift tief in die Komödientrickkiste, um die tragischen Klippen irgendwie zu umschiffen. Doch der Aufstieg des vormaligen Jungmediziners Jochen (Michael Günther Bard) zum Leiter einer Pathologie entgleitet der Regie ebenso wie die Entwicklung der Kunststudentin Sabine (Verena Güntner) vom zugedröhnten Hippiegirl zur standesgemäßen Gattin. Mit ihr als billiger, hysterischer Tussi und ihm als versoffenem Pantoffelbürokraten in Hartz-IV-Trainingsjacke landet die Inszenierung im falschen Sozialmilieu. Dorthinein werden die Karriereleiter hinaufgefallene ehemalige WG-Genossen gepresst: Kunstprofessor Hans-Helge (Wolfgang Böhm), Schuldirektorin Heidrun (Doreen Nixdorf).

Da passt bald nur noch wenig zusammen. Und zwischen Späßen verlieren sich die vom Stücktext aufgeworfenen Fragen nach dem Sinn von Karrierestreben und Gieren nach materiellem Wohlstand im Zuge deutschen Erwachsenwerdens. Für eine Boulevardkomödie machen die acht Wiesbadener Mimen ihre Sache gut. Aber die außerordentliche Qualität von „Alle sechzehn Jahre im Sommer“ rührt nunmal daher, dass der Text die 74er Flipperei und die spätere Normalität gleichermaßen unter Vorbehalt stellt – erst mittels überzeichnender Komik, dann mit zunehmend ernsthafter, genauer Ausleuchtung des Fortgangs. Als bloß leichte Komödie ist das Stück missverstanden und verschenkt.

Z Termine und Karten unter Tel. 0611/132 325

 

Rheinzeitung 25.9.2012

 

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